Tafel 15 | Bonner Republik: "Weg mit den Berufsverboten" – Solidarität und Widerstand im In- und Ausland

Le Berufsverbot | Internationale Solidarität im Kampf gegen Berufsverbote

von Silvia Gingold

Am 3. Juli1975 schrieb die französische Tageszeitung L’Huma­nité: „Rätsel: Eine junge Lehrerin ist aus dem Dienst entlassen worden, weil sie Kommunistin ist. Können Sie sagen, in welchem Land sich dieses abgespielt hat? (…) Zweifellos würden sich die Antworten ziemlich gleichen: in Spanien, im Iran, in Chile oder in einem anderen Land, dessen Regierung die Verachtung der Menschen- und Bürgerrechte offen zur Schau trägt. (…) Diese Geschichte hat sich in Wirklichkeit in unserem kleinen Europa ereignet, an unseren Grenzen, in der Stadt Kassel, in der Bundesrepublik Deutschland.“

Für viele Franzosen, für die kommunistische Lehrerinnen und Lehrer zum gewohnten Bild des öffentlichen Lebens gehören, für die es normal ist, dass Kommunisten politische Funktionen in Parlamenten und Staatsämtern bekleiden, war dies ein unvorstellbarer Vorgang.

„Le Berufsverbot“ fand daher in den 70er Jahren als nicht übersetzbare Vokabel Eingang in den Sprachschatz der französischen Medien und wurde in Frankreich zum Begriff für die antidemokratische Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, auf die viele Franzosen mit Unverständnis reagierten.

Mein Berufsverbot jedoch erregte in Frankreich besonders große Empörung, da meine Eltern während der deutschen Besatzung an der Seite der Résistance zusammen mit Franzosen gegen die Nazis gekämpft hatten, wofür sie von der französischen Regierung mit dem Befreiungsorden ausgezeichnet worden waren. Junge Deutsche, die in der antifaschistischen Tradition der Widerstandskämpfer standen und wegen ihres Engagements gegen Neonazis, Rassismus und Krieg Berufsverbot bekamen, teilweise von Richtern, die schon im Dienste der Nazis gestanden hatten, all das löste in Frankreich heftige Proteste und große Beunruhigung aus. Es bildeten sich rund 200 über das ganze Land verteilte Komitees, die auf Veranstaltungen über die Praxis der Berufsverbote in der BRD informierten und durch Unterschriften und Briefe an bundesdeutsche Gerichte und die Entsendung von Prozessbeobachtern praktische Solidarität mit den vom Berufsverbot Betroffenen übten.

Scharfe Proteste kamen aus Frankreich

Pierre Kaldor, Rechtsanwalt und Sprecher der französischen „Komitees für Meinungsfreiheit und gegen Berufsverbote“, der mich als einer der Anwälte vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof in meinem Prozess gegen das Land Hessen vertrat, betonte: „Dies ist keine Einmischung in die Innenpolitik der Bundesrepublik, da die Berufsverbote als Angriff auf die Menschenrechte ein Hindernis für eine Politik der internationalen Entspannung darstellen. (…) Bei der Résistance traf ich auch deutsche Antifaschisten, die gemeinsam mit uns Franzosen unter Einsatz ihres Lebens gegen die Nazi-Okkupation kämpften. Diesen Deutschen fühle ich mich seither tief verpflichtet. Die Hochachtung vor diesen anderen Deutschen – den Demokraten und Antifaschisten – ist einer der Hauptgründe dafür, dass ich mich zusammen mit weiteren Mitbürgern in der französischen Kampagne gegen Berufsverbote engagiert habe.“ (1)

Francois Mitterand, der damalige Vorsitzende der Parti Socialiste, setzte sich in einer Rede auf dem Parteitag in Dijon 1976 mit den Berufsverboten auseinander. Er könne es nicht akzeptieren, „dass die Bundesrepublik Deutschland, unter der Verantwortung der Sozialdemokratie, fortfährt, jeden vom öffentlichen Dienst auszuschalten, der nicht als Diener der derzeitigen Ideologie angesehen wird. Ich sage, dass dieser Beschluss der Länderministerpräsidenten von den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten zurückgenommen werden muss. Wir fordern sie brüderlich dazu auf, aber wir fordern sie dazu, wenn es sein muss, mit aller Strenge auf. Ich werde für meinen Teil nicht zögern, insbesondere im Fall Silvia Gingold, noch am heutigen Abend die Initiative zu ergreifen für ein Komitee zur Verteidigung der Rechte der Betroffenen, und werde dessen erster Unterzeichner sein.“

Auch für den französischen Publizisten Alfred Grosser waren die Berufsverbote ein Thema. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche 1975 stellte er fest: „Vielleicht bin ich zu sehr Franzose oder denke ich zu sehr an 1933, aber es scheint mir doch, als ob in der Bundesrepublik immer mehr von der Verteidigung der Grundordnung durch den Staat die Rede sei und immer weniger von der Verteidigung der Grundfreiheiten gegen den Staat. (…) Aber wenn jeder Anwärter auf eine Stellung im öffentlichen Dienst auf Herz und Nieren geprüft werden soll, wenn er Fragebögen auszufüllen hat, wenn dem Gymnasiasten schon klar wird, was er zu unterlassen und was er brav zu sagen hat, um später keine Schwierigkeiten zu bekommen, so vermeidet man weniger Gefahren für die Grundordnung, als dass man junge Generationen zum Konformismus und zu einem gefährlichen Mitläufertum verleitet.“

Nicht nur aus Frankreich hagelte es Kritik an den Berufsverboten, auch sozialdemokratische Politikerinnen und Politiker vieler anderer europäischer Länder, Juristen, Professoren, Lehrer, Schriftsteller, Künstler, Gewerkschafter und Mitglieder weiterer demokratischer Organisationen prangerten die Gesinnungsverfolgung in der BRD an.

Das große Interesse des europäischen Auslandes an der Praxis der Berufsverbote fand auch seinen Ausdruck in der Teilnahme ausländischer Gäste an der „Internationalen Konferenz „Demokratische Rechte verteidigen – Berufsverbote aufheben – Gemeinsam gegen die Verletzung von Grund- und Menschenrechten in der BRD“ am 27. und 28. Januar 1979 in Darmstadt. Vertreterinnen und Vertreter aus Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und Spanien, von internationalen Organisationen wie dem Weltfriedensrat, der Menschenrechtskommission, dem Weltgewerkschaftsbund und der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) brachten dort ihre Sorge über die antidemokratischen Disziplinierungsmaßnahmen in der BRD zum Ausdruck.

Alex Veldhof, Mitglied des niederländischen „Komitees tagen de Berufsverbote“ der „Partij van de Abeid“ sagte auf der Konferenz in Darmstadt: „Wenn in der Bundesrepublik eine Atmosphäre der Verdächtigung und Hexenjagd entsteht, können wir nicht untätig zusehen (…) und deshalb nahmen wir öffentlich Stellung, wenn wir sehen, dass der Apparat der Bespitzelung, der Anhörungen, der Einschüchterung, wie sich das hier seit dem Radikalenerlass entwickelt hat, einer menschenwürdigen Existenz, einer Existenz im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention entgegensteht.“

In den europäischen Nachbarländern waren die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis, die Verfolgung der Hitlergegner und der Kommunistenhass noch äußerst präsent. Diese historischen Erfahrungen begründeten ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der innenpolitischen Entwicklung in der BRD angesichts der Hexenjagd auf Menschen, die gegen bestehende gesellschaftliche Missstände aufbegehrten.

Internationaler Druck auf die SPD

Die internationalen Proteste und die Solidarität mit den vom Berufsverbot Betroffenen waren bestimmt von der Sorge, das „Modell Berufsverbot“ könne auch auf andere Länder übertragen werden und so die Demokratie in Europa gefährden. So erinnerten Vertreterinnen und Vertreter des Zentralverbandes der sozialdemokratischen Jugend Finnlands auf der Darmstädter Konferenz an die Abschlusserklärung der Konferenz für Sicherung und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in der es heißt: „Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheiten für alle, ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten. Sie werden die wirksame Ausübung der zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen sowie der anderen Rechte und Freiheiten, die sich alle aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind, fördern und ermutigen.“

Deshalb könne man – so die finnische Delegation – „nicht auf dem Feld der Außenpolitik Abschied vom ‚Kalten Krieg‘ nehmen und in der Innenpolitik mit den Methoden und Mechanismen des ‚Kalten Krieges‘ (…) fortfahren, denn dies ermutigt und leistet indirekt Kräften Vorschub, die die auf Entspannung und friedliche Koexistenz ausgerichtete Politik der SPD/FDP-Bundesregierung bekämpfen.“

Am 13. März 1976 organisierte die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) eine große Demonstration in Straßburg, auf der Teilnehmer aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und der BRD einen Appell an das Europaparlament richteten, in dem sie die Abschaffung der Berufsverbote forderten.

Diese Proteste, die Berichterstattung in den europäischen Medien, die Aktivitäten und Solidaritätsbekundungen aus dem europäischen Ausland, die Appelle der Schwesterparteien der SPD brachten die verantwortlichen Politiker in der BRD mehr und mehr in Bedrängnis und trugen schließlich dazu bei, dass Willy Brandt 1976 die mit dem Ministerpräsidentenerlass eingeleitete Praxis, die der Demokratie mehr Schaden als Nutzen eingebracht habe, als „Irrtum“ eingestand. Die Unterstützung aus dem Ausland sowie die breite Protest- und Solidaritätsbewegung in der BRD stärkten die vom Berufsverbot Betroffenen, ermutigten sie, gaben ihnen Kraft und Halt und führten in zahlreichen Fällen zur Wiedereinstellung.

 

(1) Etty, Peter und Silvia Gingold. Porträt einer Familie. Ein Bilderbuch über deutsche Zustände. Pahl-Rugenstein-Verlag 1982