Tafel 6 | Bonner Republik: 1950er und 60er Jahre "Remilitarisierung und Repression"

Adenauer

Nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 war Konrad Adenauer, der 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, eine der bestimmenden politischen Persönlichkeiten der ersten Nachkriegsjahre bis 1963. Adenauer wurde zunächst 1946 in der britischen Besatzungszone in Köln als Bürgermeister eingesetzt. Er galt als unbescholten, da er von den Nazis als Bürgermeister von Köln 1933 abgesetzt und im Zuge der Verhaftungswelle nach dem Hitlerattentat vom Juli 1944 inhaftiert wurde. Er war katholisch, in der Weimarer Republik Vorstandsmitglied der Zentrums-Partei, Bürgermeister von Köln, Mitglied im Staatsrat Preußen und Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte, wie u.a. auch der Deutschen Bank. Er galt mehrfach als aussichtreicher Kandidat für das Amt des Reichskanzlers in der Weimarer Republik.

Adenauer-Ära

Zu den bestimmenden Faktoren der Nachkriegspolitik in West-Deutschland zählen die sich verschärfende Ost-West-Konfrontation  oder auch der „Kalte Krieg“ und die Politik der Westintegration Adenauers. Diese basierte auf dem politischen Ziel, die deutsche Wirtschaft eng mit den westeuropäischen Staaten, insbesondere mit Frankreich, zu verzahnen (s. bspw. „Montanunion“) sowie andererseits auf dem Grundgedanken, Westdeutschland  gegen den „Kommunismus“,  insbesondere gegen die Sowjetunion,  verteidigen  zu müssen. Dies könne nur mit einer „Politik der Stärke“ gelingen, daher sei die  Integration Deutschlands  in eine „europäische Verteidigungsarmee“  durch eine „Remilitarisierung“ erforderlich. Die militärische Westintegration erfolgte 1952 durch den Beitritt der BRD in die Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und 1955 nach Gründung der Bundeswehr durch  den Beitritt in die NATO.

Stunde null und andere Legenden  

Zum Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland West gehört die „Stunde null“.  Unter diesem Schlagwort wurde die These vertreten, es sei mit der Kapitulation Deutschlands nicht nur die nationalsozialistische Diktatur beendet worden,  sondern es habe „neue Männer“ (von Frauen war nicht die Rede) von unbescholtenem Charakter, reinen Gewissens und Herzens gegeben, welche die Geschicke Deutschlands nun lenkten. Ab der „Stunde null“ habe die alte Gesellschaft aufgehört zu existieren, ihre Wertvorstellungen seien einer Katharsis unterzogen und widerlegt worden. Alles hätte „neu“ gedacht werden müssen.  Jede Kontinuität zwischen dem Nationalsozialistischen  Staat und der BRD wurde verleugnet. Der Mythos einer „sauberen Wehrmacht“ gehört ebenfalls zu den Gründungslegenden der Bundesrepublik. Der Aufruhr, den die erste Wehrmachtsausstellung 1995 erzeugte, gibt ein deutliches Bild darüber ab, wie sehr man glauben wollte, es habe doch auch  ein „gutes Heer“ gegeben.

Und es gelang, der Arbeiterschaft organisiert in der SPD, der KPD und ihren Gewerkschaften eine Teilschuld am Niedergang der Weimarer Republik zuzuschreiben. 

Ohne uns – der Kampf gegen die Wiederbewaffnung

Die „Wiederbewaffnung“ war das umstrittenste politische Projekt der  ersten Nachkriegsjahre. Eine breite Protestbewegung bis weit in bürgerliche Kreise formierte sich dagegen. In den Jahren von 1949 bis 1953 war die KPD die einzige Partei im Bundestag, die  gegen die Remilitarisierung opponierte. Die KPD war es, die im Dezember 1949 die erste parlamentarische Debatte um die Wiederbewaffnung anstrengte und damit gegen eine interfraktionelle Vereinbarung aller Parteien des Bundestages jenseits der KPD agierte,  keine „offene Wehrdebatte“ führen zu wollen.

„In einem Memorandum vom August 1950 hatte Kanzler Adenauer ohne Rücksprache mit der Bundesregierung und ohne Information und Beteiligung des Parlamentes dem US-Hochkommissar McCloy deutsche Truppen im Rahmen einer `internationalen westeuropäischen Armee´ angeboten.  Außerdem verlangte er die  `Verstärkung der Besatzungstruppen´  und die Genehmigung zum Aufbau einer Polizeitruppe gegen `offene oder getarnte Aktionen´, für die laut Adenauer  `eine fünfte Kolonne´ seit September 1949 in den Westzonen bereit stünde“.

Aus Protest dagegen trat Innenminister Heinemann (CDU) am 31. August 1950 zurück.

Im Januar 1950 antworteten auf die Frage „Würden Sie es für richtig halten, wieder Soldat zu werden, oder dass Ihr Sohn oder Ihr Mann wieder Soldat werden würde?“ 74,5 Prozent der Befragten mit „Nein“.

Zwischen 1950 und 1951 gab es Arbeitsniederlegungen in 1.878 Betrieben, besonders im Bergbau, wo der durch den Koreakrieg angeheizte Bedarf an Kohle für die Stahlproduktion der USA zu Sonderschichten führte. 80.000 bis 160.000 Menschen beteiligten sich an diesen Arbeitsniederlegungen, „ in denen neben wirtschaftlichen und sozialpolitischen Forderungen auch der Verzicht auf die Wiederaufrüstung verlangt wurde“. 

Martin Niemöller verlangte von Adenauer die Durchführung einer Volksbefragung zur Wiederaufrüstung. Dies war nun wirklich nicht im Sinne Adenauers. Niemöller gab aber mit dem im Grundgesetz nicht vorgesehenen Gedanken, eine Volksbefragung zur Frage der Wiederbewaffnung durchzuführen,  einen wichtigen Impuls für die Protestbewegung. Die Volksbefragung für einen sofortigen Friedensvertrag mit Deutschland und gegen die Wiederbewaffnung wurde selbstorganisiert durchgeführt. Die KPD und ihre Organisationsstrukturen spielten hier eine federführende Rolle. Die Bundesregierung beantwortete die Initiative am 4. April 1951 mit einem Verbot. Die Volksbefragung ziele auf einen „Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundesgebietes“.  Die Volksbefragung ging trotzdem weiter. Mitte März 1952 wurde das Ergebnis der breit angelegten Befragungsaktion bekannt gegeben. Demnach „sprachen sich 9.119.667  Männer, Frauen und Jugendliche der Bundesrepublik, des Saarlandes und der Westsektoren Berlins für den sofortigen Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland und gegen jede Remilitarisierung und Wiederaufrüstung aus.“

8.781 polizeiliche Einsätze gegen die Volksbefragungsaktion wurden registriert. 7.331 Helfer wurden verhaftet und mehr als 1.000 Gerichtsverfahren eingeleitet. „Das alles in einem Zeitraum von zwölf Monaten.“

Quelle: IMI Analyse 2015/033 „Der Kampf gegen die Remilitarisierung der BRD – 1955 Jahr der Entscheidungen“ von Arno Neuber veröffentlicht auf www.imi-online.de am 9. November 2016, aufgerufen am 25. Oktober 2016

Das, was man bekämpfen will, wird Kommunismus genannt

Zwischen 1951 (Strafrechtsänderungsgesetz) und 1968 wurden zwischen 125.000 und 250.000 (die Zahlen sind in der Forschung umstritten und schwanken stark,  d. Verf.)  Ermittlungsverfahren wegen politischer Vergehen eingeleitet, 7.000 bis 15.000 Personen verurteilt.  

„In der Justiz tummelten sich besonders viele ehemalige NS-Juristen. Diese freuten sich, dass unter Kanzler Adenauer im 1. Strafrechtsänderungsgesetz an das NS-Gesinnungsstrafrecht angeknüpft wurde. Erneut waren jetzt nicht nur konkrete politische Handlungen strafbewehrt. Schon die pure politische Einstellung (…) genügten, um ins Gefängnis zu wandern. So konnten manche furchtbare Juristen tun, was sie schon unter Hitler gemacht hatten: Kommunisten verfolgen.“

Quelle: Die Zeit, Christoph Seils,  Geist der NS-Zeit, 11. August 2006, 14:00 Uhr, Zeit online, aufgerufen am 25. Oktober 2016

17. August 1956: KPD-Verbot

Im November 1951, nur wenige Monate nach dem Strafrechtsänderungsgesetz, stellte die Bundesregierung Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) beim Bundesverfassungsgericht. Das Verbotsverfahren zog sich über 5 Jahre hin, das Verfahren war fragwürdig und die politische Einflussnahme durch die Bundesregierung unter Konrad Adenauer erkennbar.

Auch heute noch: Antikommunismus im  Mark der Republik 

Am 17. August 2016 titelt die "Welt": „Wie die Kommunisten ihren Opferstatus konstruieren“ und kommt noch in der Unterzeile zum dem Schluss, das KPD-Verbot sei ein politischer Fehler gewesen. Die zynische Begründung: „Im Ergebnis profierte vor allem die KPD selbst von ihrem Verbot vor 60 Jahren und das bis heute: Die überflüssige Entscheidung des Verfassungsgerichts machte die Kommunisten völlig unverdient zu Märtyrern. Dabei hatte die blutige und enorm opferreiche Kommunistenverfolgung der Nazizeit mit den moderaten Maßnahmen in den 50er und 60er Jahre  nichts gemein.“ www.welt.de/geschichte

Quelle: Die Welt, Sven Felix Kellerhof, 17. August 2016, Wie die Kommunisten ihren Opferstatus konstruieren, gef. am 25. Oktober 2016

Das Staatsschutzgesetz von 1951 | Strafrechtsänderungsgesetz (Blitzgesetz)

Vom 30. August 1951 (Auszug)

„Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Strafvorschriften gegen Hochverrat
Staatsgefährdung und Landesverrat

In den zweiten Teil des Strafgesetzbuchs werden folgende Abschnitte eingefügt

Erster Abschnitt
Hochverrat
§ 80

[1] Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt

1. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland oder der Verfassung eines ihrer Länder beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern,

2. das Bundesgebiet einem fremden Staate einzuverleiben oder einen Teil des Bundesgebietes loszureißen,

3. das Gebiet eines Landes ganz oder teilweise einem andere Lande der Bundesrepublik einzuverleiben oder einen Teil eines Landes von diesem loszureißen“

wird wegen Hochverrats mit lebenslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter 10 Jahren bestraft.

Blitzgesetz gegen Landesverrat

12. Juli 1951, 7 Uhr

 „ Der Hochverratsparagraph, den die Besatzungsmächte 1945 eiligst abgeschafft hatten, tritt (…) wieder ins Leben. Sechs Jahre lang war Deutschland das einzige Land der Welt, in dem Hoch- und Landesverrat erlaubt waren. Seither hat man eingesehen,  daß es dabei nicht bleiben kann. (…) Ein Delikt der Staatsgefährdung ist nach der Novelle bemerkenswerterweise auch die Aussperrung und der Streik in Verkehrs-, Nachricht- und sonstigen lebenswichtigen Betrieben (…) ein anderes ist die Durchführung eines Nachrichtendienstes  zugunsten einer fremden Regierung, Partei oder Vereinigung, weiter der ungenehmigte Import und Vertrieb von Druckwerken, die gegen den Bestand der Bundesrepublik oder Verfassungsgrundsätze gerichtet sind (…) Aus dieser knappen Inhaltsangabe sieht man, daß es sich um ein umfangreiches Staatsschutzgesetz handelt, das jetzt in das Strafgesetz eingebaut und ganz wesentliche Relationen des politischen Lebens regeln wird (…)

Daß die Bundesrepublik die Handhaben erhält, die sie zur Selbstverteidigung gegen den Totalitarismus nach innen und außen braucht, ist gewiß dringlich, doch muß man sich fragen, ob hier nicht in aller Eile das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Zum Beispiel scheint es uns, daß die Bestimmungen über die Verächtlichmachung der Bundesorgane, mit denen man mangels einer genauen Definition des Terminus `Verunglimpfung´ jede Kritik , die der Regierung oder den Abgeordneten unangenehm ist, ja sogar jede kritische Karikatur unter Anklage stellen könnte (…) Geduld wäre hier auch deshalb am Platze, weil es hier um größere Dinge geht, als um ein Steuergesetz oder neue Ausgaben. Diese Strafrechtsnovelle kann sehr wohl ein Schicksalsgesetz der Bundesrepublik werden. –W.F. “

www.zeit.de/1951/28/blitzgesetz-gegen-landesverrat

Die Zeit Online, aufgerufen am 17. Oktober 2016

Das Gesetz vollständig auf www.documentarchiv.de (1951, Strafrechtsaenderungsetz, Kai Riedel)

aufgerufen am 17. Oktober 2016