Tafel 12 | Bonner Republik: Einzelne waren betroffen – viele waren gemeint

Betroffen: Auch Mitarbeiter der Bahn

Foto: 1978 veranstalteten die von Berufsverbot bedrohten Eisenbahner eine Pressekonferenz im Zug. Sie mieteten bei der DB einen Waggon und die Lautsprecheransage im Bonner Hauptbahnhof lautete tatsächlich: "Der Sonderwagen zur internationalen Pressekonferenz der vom Berufsverbot betroffenen Eisenbahner befindet sich am Ende des Zuges". Das Foto zeigt die Kollegen im Waggon, Axel Seiderer befindet sich im mittleren Fenster rechts.

Axel Seiderer: Vorwürfe –Mitgliedschaft und Aktivitäten in der DKP

1974 Eintritt in den Dienst der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt am Main und Ernennung zum Bundesbahninspektoranwärter auf Widerruf. 

Nach einigen Wochen schriftliche Regelanfrage, die wahrheitsgemäß beantwortet wird. Hiermit beginnt der Prozess der Verfolgung, bald darauf erfolgt die Androhung der Entlassung aus dem Dienst. 

Von 1974 bis 1977 diverse Befragungen durch Vertreter der Deutschen Bundesbahn, unter anderem – begleitet vom Hauptpersonalratsvorsitzenden der DB - beim Präsidenten der Bundesbahndirektion Frankfurt persönlich. Bei dieser Befragung kommt der erste Hinweis, dass Axel Seiderer im Dienst  verbleiben könne, wenn er aus der DKP austrete.  

Befragung direkt durch den Verfassungs“schutz“, der Axel Seiderer in der Bundesbahnschule in Mainz unangemeldet besucht und eine Reihe von Fragen stellt, deren Antworten der Geheimdienstler offensichtlich bereits kannte. Es ging also wesentlich um Einschüchterung. 

1977 übermittelt die DB zehn schriftlich formulierte Fragen, die Axel Seiderer ebenso schriftlich beantworten soll. Ihm wird dabei in Frage 10 unterstellt, eine zwar „formal korrekte“ aber dennoch „uninteressierte, kühle innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung“ zu haben. Dies gipfelt letztlich in der Aufforderung, sich von der DKP zu distanzieren und sie zu verlassen. Da es offensichtlich allein auf diesen Punkt ankam und die anderen neun Fragen allenfalls schmückendes Beiwerk waren, werden sie nicht einzeln, sondern nur allgemein beantwortet. Insbesondere wird das Ansinnen, die DKP zu verlassen, abgelehnt. 

Entlassungsverfügung durch den Vorstand der DB zum 31.12.1977, in der alle Vorwürfe zusammengefasst werden. Auch der, dass auf die zehn schriftlichen Fragen nicht ausführlich geantwortet wurde:
„…Sie lehnten es jedoch ab, sich zu den Fragen zu äußern…Alle 10 Fragen beträfen ausschließlich ihre Mitgliedschaft in einer zugelassenen politischen Partei, wozu Sie feststellten, dass Sie das in Art. 21 GG verankerte Recht in Anspruch nähmen (Parteienprivileg) und von diesem Recht auch weiterhin Gebrauch machen würden….“ Weiter heißt es in dem Schreiben des DB-Vorstands: „Es wird nicht bestritten, dass Sie sich im Dienst parteipolitisch zurückgehalten und nicht versucht haben, Kollegen von der kommunistischen Ideologie zu überzeugen. Darauf kommt es aber nach dem Grundgesetz, dem Bundesbeamtengesetz sowie der Rechtsprechung des BVerfG und der Verwaltungsgerichte nicht an…Sie bieten nicht die Gewähr, dass Sie jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten…“ Axel Seiderer sei deshalb zu entlassen. 

Nach Klageeinreichung gegen die DB 1977 findet 1982 der Prozess vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt statt. Ergebnis: Die Klage wird abgewiesen, der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Begründung lehnt sich eng, fast bis in einzelne Formulierungen gehend, an die Entlassungsverfügung der DB an. Der weitere Rechtsweg wurde nicht beschritten. Eine Petition an das Europäische Parlament zusammen mit zwei anderen Betroffenen bleibt ohne Ergebnis. 

Von Anfang an erfuhr Axel Seiderer eine große nationale und internationale Solidarität, ohne die es sehr schwer gewesen wäre, die Zeit der Verfolgung durchzustehen.

Besonders zu erwähnen:

Die Eltern (keine Kommunisten), die ihn materiell und durch Aktivitäten unterstützten. So schrieb z. B. sein Vater als Sozialdemokrat an den Vorsitzenden Willi Brandt (allerdings folgenlos), Mitglieder der SPD (in der er selbst sieben Jahre war), Gewerkschaften, z. B. Rechtsschutz durch die GdED, nicht zuletzt die überwältigende Resonanz aus dem Ausland, die viel geholfen hat, letztendlich doch die Stimmung hierzulande zu wenden.